UNTERNEHMERIN

Das hybride Büro als Bühne

Die Expert*innen Oliver Lehmann, General Manager des Co-Working-Anbieters Mindspace, und Dr. Irina Kummert, Präsidentin des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft, geben Antworten auf die aktuellen Fragen hybrider Modelle der Zukunft: Was bedeutet die Neudefinition des Arbeitsplatzes für die Post-Corona-Zeit und wie profitieren Führungskräfte ebenso wie Mitarbeiter*innen davon?

Sein Arbeitsplatz besaß alles, was ein klassisches Fabrikantenbüro auszeichnet: Parkett, einen wuchtigen Schreibtisch, Ledersessel, es hatte ein großes Fenster und war mit Klimaanlage und Waschbecken ausgestattet. An der Wand hing eine Weltkarte mit den Filialen des Imperiums. Doch der Weg zum Büro des tschechischen Schuhfabrikanten Jan Antonín Bat’a änderte sich täglich. Mal befand es sich in der 16. Etage, mal in der sechsten, dann wieder in der ersten seines 17 Stockwerke hohen Fabrikgebäudes im tschechischen Zlín. Es war 1938 das erste Büro – und bis heute wohl das einzige –, das sich in einem Fahrstuhl befand.

Die Idee, Büropräsenz flexibel zu gestalten, ist also nicht die eines jungen Start-ups, sondern relativ alt. Jan Antonín Bat’as wahrscheinlich weltweit erstes mobiles Büro steht für eine neue Unternehmenskultur – ein Plädoyer für einen kurzen Dienstweg, der die starren Hierarchien zwischen Chefetage und Angestellten aufbricht und einen als gemeinsam erlebten Arbeitsprozess möglich macht. 

Bat’as Aufzug mit sechs Quadratmeter Grundfläche war der Schluss- und Höhepunkt einer beispiellosen Erfolgsgeschichte: Der Fabrikant überblickte eine Musterstadt, in der er und sein Vorgänger außer Werkshallen auch Wohnhäuser mit Garten hatte errichten lassen, die die Arbeiter*innen in einem ausgeklügelten Sparmodell selbst erwerben konnten. Dazu gab es Bahnlinien, Kraftwerke, Krankenhäuser, Lebensmittelläden und Schulen. Das von Tomáš Bat’a Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Unternehmen war das erste gewesen, das Schuhe industriell und zu einem erschwinglichen Preis herstellte – und es war rasant gewachsen. Allein zwischen 1929 und 1931 kamen 666 Betriebe in 37 Ländern hinzu.

Dieses Beispiel zum Beginn des Konsumzeitalters veranschaulicht, dass Fortschritt und Arbeitserfolg mit dem Wohlergehen der daran beteiligten Menschen verknüpft sind. 

Rund 90 Jahre später befinden wir uns inmitten einer Pandemie, die das Wirtschaftsleben in vielen Bereichen über Monate lahmgelegt hat und in großer Dringlichkeit die Frage nach einer Neuorganisation von Arbeitsprozessen und Unternehmenskultur stellt. Während des Lockdowns erlangte das Homeoffice eine ungeahnte Bedeutung. Viele Unternehmen wollen ihren Angestellten nun auch in Zukunft mehr Selbstbestimmung bei der Wahl des Arbeitsorts einräumen und flexible Arbeitszeiten ermöglichen. Hybride Arbeit – die Kombination aus Arbeit von zu Hause aus und von unterwegs mit Präsenzarbeit im guten alten Büro – ist in aller Munde. Es geht darum, auf die so unterschiedlichen Bedürfnisse der Angestellten verstärkt einzugehen, aber auch darum, vor welche Herausforderungen eine flexible Arbeitsstruktur die Arbeitgeber*innen und Unternehmen stellt.

Dass ihre Räumlichkeiten nachhaltig zu einer guten Work-Life-Balance beitragen, davon ist Oliver Lehmann, General Manager Deutschland des Flex-Space-Anbieters Mindspace, überzeugt. In einer der Berliner Filialen stehen Besucher*innen in einem lichtdurchfluteten Atrium. Helligkeit, Pflanzen und gemütliche Rückzugsecken mit ausgewählten Designermöbeln prägen den Boutique-Stil der Räume. „Wir wollen unseren Kunden den Weg zurück ins Büro so leicht wie möglich machen und einen Arbeitsplatz schaffen, der Begeisterung und Freude weckt“, sagt Lehmann.

Das Unternehmen, das 2014 in Israel gegründet wurde, unterscheidet sich von den etablierten Co-Working-Anbieter*innen durch ein erweitertes Angebot an flexiblen Raum- und Mietmöglichkeiten. Damit habe man bereits vor Corona auf den sich verändernden Arbeitsmarkt reagiert. Die Erfahrung mit der Pandemie habe das Konzept bestärkt. „Viele Unternehmen überdenken gerade ihre Immobilienstrategien, etliche wollen sich nicht mehr an lange Mietverträge binden“, sagt Lehmann. „Ihnen kommen nicht nur unsere flexiblen Raum- und Designkonzepte, sondern auch kurzfristige Mietverträge entgegen.“ 

Auch für Unternehmen, die bereits ein hybrides Arbeitsmodell eingeführt haben, hat Mindspace ein entsprechendes Angebot entwickelt. Es beinhaltet Arbeitsplätze für alle Beschäftigten, wobei zwischen verschiedenen Bürostandorten und dem Homeoffice gewählt werden kann. So nutzt beispielsweise ein Unternehmen mit 35 Mitarbeiter*innen ein Privatbüro mit 20 Arbeitsplätzen, während den übrigen Angestellten ein flexibler Arbeitsplatz garantiert ist. „Wenn dann alle 35 auf einmal ins Büro kommen, bekommt trotzdem jeder und jede einen geeigneten Arbeitsplatz“, sagt Lehmann. Die Treue ihrer Kund*innen während des Lockdowns und etliche neue Anfragen hätten sie in ihrem Konzept bestärkt.

Dass die Präsenz im Büro tatsächlich obsolet werden könnte, glaubt Lehmann hingegen nicht. „Natürlich werden viele Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen weiter von zu Hause aus arbeiten lassen. Aber etliche empfanden das auch als belastend, gerade in der Vermischung von Arbeit und Privatem. Dazu kommt: Nicht jeder und jede hat eine große, schöne Wohnung. Die Sehnsucht der Menschen, einander zu begegnen, nach Face-to-face-Gesprächen, wo man nicht aus dem Zoom-Fenster gekickt wird, weil das Internet zu Hause mal wieder zu schwach ist – die sollte man nicht unterschätzen“, sagt er.

Wie sehr aber gerade der virtuelle Raum das Verhältnis von Mitarbeiter*innen und deren Kommunikation verändert, fiel Dr. Irina Kummert während ihrer zahlreichen Videokonferenzen der vergangenen Monate auf. Sie ist seit 2013 ehrenamtliche Präsidentin des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft. „Ob Zoom, Webex oder Google Meet – alle haben auf diesen Plattformen den gleichen Rahmen, das gleiche Quadrat, das weder einen Rückschluss auf die Position noch auf die Funktion erlaubt“, sagt Kummert. Nur die Person, die spricht, rückt in den Bildschirmvordergrund. Plötzlich hätten sich Stimmen zu Wort gemeldet, die sonst stumm geblieben wären – Menschen, die für neue Ideen, Projekte und Teambildung unerlässlich sind. Kummert haben die vielen gleichen Zoom-Quadrate inspiriert, sie plädiert für hierarchiefreie Räume in Unternehmen, bei denen jede*r Mitarbeiter*in ermutigt werde, sich mit Ideen und Verbesserungsvorschlägen einzubringen. „Nur so können Unternehmen tatsächlich produktiver werden.“ Verantwortung und Kontrolle seien jetzt die Schlüsselbegriffe, die in einer hybriden Arbeitssituation neu interpretiert werden müssten, sagt Kummert. „Ein Balanceakt zwischen Loslassen und Neuorganisation, eine Herausforderung für Arbeitgeber*innen wie für Arbeitnehmer*innen, zugleich aber die große Chance für Unternehmen, in Zukunft noch besser zu arbeiten.“

In der Vergangenheit habe man zwar oft über das Vertrauensabgabe in Mitarbeiter*innen gesprochen, de facto seien die meisten Unternehmen aber immer wieder in alte Kontrollmechanismen zurückgefallen. Erst Corona habe dies zwangsläufig außer Kraft gesetzt. Die größere Eigenverantwortlichkeit von Teams und Mitarbeiter*innen setze künftig jedoch mehr Kommunikation voraus, sagt Kummert: „Wir haben viel zu lange viel zu viel über einander, aber viel zu wenig miteinander gesprochen.“ Erwartungshaltungen sollten klarer formuliert und eingegrenzt werden. Hilfreich seien agile Arbeitsmethoden mit Teams, die projektbezogen arbeiteten und eine eigene Fehlerkultur entwickelten.

Kummert entwirft das Bild eines sich stets neu erfindenden Unternehmens. „Das funktioniert wie ein Pop-up-Store, man baut immer wieder um oder neu auf. Den Satzanfang ,Es versteht sich von selbst, dass‘ müssen wir streichen, weil sich schon in der Vergangenheit vieles nicht von selbst verstanden hat und auch gar nicht von selbst verstehen muss, wenn wir mehr miteinander sprechen. Wir könnten uns noch stärker klarmachen, dass Innovation immer das Ergebnis einer Störung ist. Wenn wir also Störungen als Chance sehen, uns weiterzuentwickeln, dann erlauben wir gleichzeitig, dass sich die besten Ideen durchsetzen.“ Fehler seien in diesem Denken nicht länger der Schwarze Peter, der einen ins Abseits manövriere, sondern „genau das, was uns nach eingehender Analyse voranbringt“, sagt Kummert.

Mindspace möchte für diese Form der Kommunikation die passenden Räume kreieren. „Teile unserer Büroflächen sind wie Lounges oder kleine Cafés gestaltet, in denen man sich geschützt und zwanglos unterhalten kann“, sagt Oliver Lehmann. Ob sie zu einer Demokratisierung des Arbeitsprozesses beitragen? Für Lehmann ein zu hehres Wort. „Wir schaffen vielleicht das Klima, in dem flache Hierarchien gut gedeihen“, sagt er. Dazu komme der Service, mit dem sich Mindspace von anderen Co-Working-Anbieter*innen abheben möchte. „Ob das unser Postservice ist, Yogakurse, die wir während Corona auch online angeboten haben, oder Extrawünsche für Meetings oder ein einzelnes Mitglied: Es geht darum, Zusatzbelastungen rund um die Arbeit der Mitglieder so weit wie möglich zu reduzieren.“„Five-Star-Service“ nennt Lehmann das, der für die Begegnung unterschiedlicher Unternehmen eine gemeinsame Bühne bauen möchte. „Das Büro soll nicht nur ein Platz sein, an dem ich mich motiviert, konzentriert und kreativ fühle, sondern zugleich ein Ort der Begegnung – wo ich Kolleg*innen treffe, auch die anderer Firmen, mit denen ich mich einfach mal austauschen möchte. So entstehen neue Synergien. Da trifft ein großes Corporate auf ein kleines Start-up und sieht, was es heißt, agil zu sein. Auf der anderen Seite kann sich ein Start-up abschauen, wie man langfristige Strategien umsetzt. Immer wieder entstehen so neue Netzwerke und Verbindungen in unseren Räumen.“

Doch damit Kommunikation auf so unterschiedlichen Ebenen tatsächlich funktioniere, bedürfe es einer größeren Chancengerechtigkeit, sagt Irina Kummert – und dies entscheide sich in den Räumen weit vor Co-Working und Flex-Space: „Sie beginnt mit dem Zugang zu Bildungseinrichtungen.“ Da gebe es auch in Deutschland großen Nachholbedarf, sagt Kummert, die sich darum bemüht, Menschen dafür zu gewinnen, in die Bildung des Nachwuchses zu investieren. Ob das die Unterstützung sogenannter Problemschulen oder Kitas ist – Irina Kummert hat als erste Frau einen Rotary-Club in Berlin gegründet, der sich genau solcher Projekte annimmt. 

Bat’as Aufzugsidee mag bereits in den Visionen des kleinen Schuhmachers gesteckt haben, als er seine große Fabrik zu planen begann. Ob sein Fahrstuhlbüro einfach der Kontrolle der Angestellten diente oder einem schnelleren Dienstweg und damit einer direkten Kommunikation, bleibt der Interpretation der Nachgeborenen überlassen. Vielleicht war es das Hybridmodell beider Anliegen, um ein rasant wachsendes Unternehmen in den Griff zu bekommen. Bat’as Erfolg spricht für sich, ebenso wie der relative Wohlstand seiner Arbeiter*innen.

Wichtiger als die attraktive Atmosphäre eines Arbeitsplatzes seien Haltung und Ideen derjenigen, die ihn bespielen, sagt Irina Kummert, wobei sie nicht in Abrede stellen möchte, dass sich beides beeinflusse. „Trotzdem – ob ich mir die Macht eines Raumes zunutze mache oder sie verweigere, bleibt meine Entscheidung. Letzten Endes geht es darum, die Eigenverantwortlichkeit aller Beteiligten zu stärken“, sagt sie.

Text: Antonia Munding
Foto:  Marcela Vieira

Dieser Artikel wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN (2021/1) veröffentlicht.