Sich immer wieder neu erfinden
Eine Marke ist so viel mehr als ihr Produkt. Sie verspricht Einzigartigkeit. Und die muss mitschwingen, in jedem Moment. Seit zehn Jahren schafft Luisa Dames genau das mit ihrem Lable Aeyde, das sie vom Berliner Hinterhof auf die Weltbühne katapultiert hat. Dabei verfolgt sie eine klare Strategie. Sie sagt: „Kreativität kommt von innen. Ich schaue nur auf mich, betrachte Dinge, lese viel. Lasse mich inspirieren. Aber am Ende muss etwas Eigenständiges dabei herauskommen.“ 2015 brachte Dames ihre erste Schuhkollektion mit 15 Modellen auf den Markt. Der Verkauf erfolgte ausschließlich online. Heute ist Aeyde eine international bekannte Marke. Das Unternehmen produziert Schuhe und Accessoires in der Toskana und arbeitet mit einem Vertriebsnetz von mehr als 130 Partnern zusammen, darunter renommierten Händlern wie dem KaDeWe, Breuninger und Selfridges in London. Die Prinzipien von Aeyde sind schlichtes, zeitloses Design, hohe Qualität und erschwingliche Preise. „Alles, was man von der Marke sieht, ist über meinen Tisch gegangen. Design und Kampagne müssen Hand in Hand gehen. Ich gebe die Richtung vor, nehme Entwürfe ab und schalte mich immer wieder ein, lasse meinen Leuten aber viele Freiheiten“, sagt die 39-Jährige. Ihr Weg in die Modebranche war nicht vorgezeichnet. Nach einem Kulturwirtschaftsstudium hat Luisa Dames ihre Karriere bei der Unternehmensberatung EY in Mailand begonnen. Anschließend wechselte sie zu Zalando. „Dort habe ich alles über Produktion und Verkauf gelernt“, sagt die Unternehmerin. Stilbildende Kreativität war dabei noch nicht gefragt. Aber sie erlernte die Grundlagen für ihr heutiges Geschäft, denn auch die schönsten Schuhe verkaufen sich nicht von selbst.
Martina Hacker schwingt das Zepter in der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) im Berliner Tiergarten. Auch sie kommt aus dem kaufmännischen Bereich. Bevor sie bei KPM anfing, machte sie Karriere als Leitung Finanzen bei verschiedenen Unternehmen. 2016 begann sie bei der Manufaktur als CFO, seit 2019 ist sie Geschäftsführerin. Als solche ist sie auch in den Kreativprozess involviert. „Kreativität ist das Fundament, auf dem die Manufaktur aufgebaut ist“, sagt Hacker. Seit mehr als 260 Jahren. Ab 1763 war sie im Besitz des späteren Königs von Preußen, Friedrichs des Großen. „Von Anfang an hatte KPM eine große Nähe zu Künstler*innen“, sagt Hacker. Das königliche Unternehmen prägte die Stile der kommenden Epochen mit: vom Rokoko über Klassizismus und Jugendstil bis zum Bauhaus und darüber hinaus. Künstler*innen wie der Architekt Karl Friedrich Schinkel, der Maler Alexander Kips oder die Bauhaus-Künstlerin Trude Petri schufen Designs, die bis heute auf dem Markt sind. Sie bleiben Produkte von zeitloser Schönheit. „Dieses Ziel treibt uns auch heute jeden Tag an.“ Noch immer ist die erste Serie Kurland die erfolgreichste des gesamten Portfolios. Zweimal im Jahr treffen sich Designer*innen und Kreative zur Produktentwicklung. Die 63 Jahre alte Chefin ist immer dabei. Auch Besitzer Jörg Woltmann, der das Unternehmen 2006 dem Staat abkaufte und vor der Insolvenz rettete, mischt mit.
Kooperationen von Unternehmen mit Künstler*innen sind längst zu einem bedeutenden Erfolgsfaktor geworden. Künstler*innen bringen kreative Visionen und kulturellen Einfluss von außen ein. Im Gegenzug nutzen die Unternehmen ihre Ressourcen und Reichweite, um innovative Produkte zu erschaffen. Solche Kooperationen eröffnen neue Märkte, setzen kulturelle Trends und verbinden Kreativität mit kommerziellem Erfolg – ein Gewinn für beide Seiten. Luisa Dames und Aeyde haben erst kürzlich ihre erste Kollaboration realisiert. Die in Berlin lebende Künstlerin Laura Welker hat einen Kerzenständer in Form eines High Heels für das Modehaus designt und damit eine Brücke vom Kerngeschäft Schuhe, das immer noch 90 Prozent des Umsatzes ausmacht, zu den Accessoires geschlagen. „Wir suchen Kollaborationspartner sehr sorgfältig aus und achten darauf, dass unser Profil dabei nicht verwässert wird“, sagt Dames. Künftig sollen sich weitere Künstler*innen bei Aeyde einbringen. Internationale Stars wie die Sängerin Taylor Swift, Barbie-Darstellerin Margot Robbie oder das Model Gigi Hadid wurden bereits in den Schuhen der Berliner Marke gesichtet. Größter Wunsch der Unternehmerin wäre eine Kollaboration mit der Oscar-Preisträgerin Gwyneth Paltrow. „Das würde uns auf dem US-amerikanischen Markt einen großen Schritt voranbringen“, sagt sie. Bei KPM haben Kooperationen eine lange Tradition. Martina Hacker und ihr Team arbeiten regelmäßig mit verschiedensten Künstler*innen zusammen, die innovative Ideen in die Porzellanmanufaktur bringen. „Sie haben erstaunlich konkrete Vorstellungen, welche Produkte sie in welcher Form bearbeiten wollen“, sagt Martina Hacker. Der italienische Designer Enzo Mari schuf das berühmte funktionale BERLIN-Service. Gisbert Pöppler, einer der erfolgreichsten deutschen Interior-Designer, gestaltete die ÉDITION QUARTOLET. Dabei kombinierte er historische Entwürfe mit seiner modernen, farbzentrierten Ästhetik: zwei Schalen mit Farbkombinationen in jeweils umgekehrter Farbplatzierung. Entworfen wurden die Gefäße 1929 von Wilhelm Löber.
Pöppler, seit Jahren ein Fan des schlichten Entwurfs, übertrug sein durch Farben bestimmtes Raumdenken auf das Porzellan. Und auch die deutsche Comiczeichnerin und Illustratorin Anna Haifisch hat sich bereits erfolgreich an KPM-Produkten versucht. Haifisch interpretiert historische Motive humorvoll neu: Sie verewigte etwa Friedrichs Windspiel und den Zwergspaniel seiner Schwester Wilhelmine von Preußen auf Bechern der LAB-Serie. Im Namen seiner Windhündin Biche schrieb der Preußenkönig herzzerreißende Sätze an den Zwergspaniel Folichon. Wilhelmine antwortete für Folichon.
Darüber hinaus entwirft KPM selbst Designs für andere Unternehmen. Für Birkenstock entstand eine Sandale mit Porzellan-Details. Für die Automarke Bugatti statten sie den Veyron 16.4 Grand Sport mit Elementen aus hochwertigem Porzellan aus. Und auch vor Tankdeckeln und Felgen macht die Kunst der KPM-Designer*innen nicht halt. Kreativität erschöpft sich aber nicht im Produkt. Auf der eigenen Website betreibt Aeyde modernes, stylishes Storytelling. So wurde vor Kurzem das Aeyde-Radio gegründet, ein Format, in dem junge Musiker*innen zu Wort kommen, ihre Musik vorstellen und Playlists zum Nachhören erstellen. Außerdem hat Luisa Dames eine eigene Schrift entwickelt: Aeyde Grotesk. KPM wiederum nutzt die Möglichkeiten der Digitalisierung, um Tradition mit modernem Design zu verbinden. Die Zusammenarbeit mit Künstler*innen wird in den sozialen Medien sichtbar gemacht, und neue Produkte werden in aufwendigen Kampagnen inszeniert, die das handwerkliche Erbe der Marke betonen.
„Alles, was du dir vorstellen kannst, ist real“, hat Pablo Picasso einmal gesagt. Martina Hacker und Luisa Dames gehören verschiedenen Generationen an. Die Produkte, für die sie verantwortlich sind, könnten unterschiedlicher kaum sein. Ein Unternehmen mit mehr als 260 Jahren Tradition, auf der anderen Seite eine junge Modefirma für Schuhe und Accessoires. Beide verwirklichen, was sie und ihre Kreativteams sich vorstellen. Die Erfolgsgeschichten von Aeyde und KPM illustrieren, wie entscheidend Kreativität für Unternehmen ist. Ob durch den internen Gestaltungsprozess oder durch Kooperationen mit Künstler*innen – kreative Ansätze sind der Schlüssel, um Marken zu differenzieren, Produkte mit kultureller Bedeutung zu schaffen und langfristig erfolgreich zu sein. In einer Welt, in der Originalität und Innovation geschätzt werden, bleibt Kreativität eine unbezahlbare Ressource.
Text: Sebastian Holder
© Mustafah Abdulaziz; Aeyde; Franz Grünewald; Erwin Wurm, Vasenskulptur Onkel, VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Roman März; Johannes Graf und Max Hoell
Dieser Artikel wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN 02/24 veröffentlicht.