„Innovation braucht Vielfalt“
Frau Bundesministerin, wir erleben aktuell vermehrt Abwanderungen mittelständischer Unternehmen und alteingesessener Industrie in die USA, eine sinkende Investitionsquote in Deutschland sowie generell einen Wirtschaftsstandort, der zunehmend unter Druck gerät und an Attraktivität verliert. Wie kann der Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland weiter gefördert werden? Reicht das Wachstumschancengesetz als Anreiz für Innovation Ihrer Meinung nach aus?
Wir sind ein international führendes Innovationsland, treiben bei vielen Entwicklungen an der technological frontier die Grenzen des technisch Machbaren voran. Grundlage dafür sind die Investitionen in Forschung und Innovation von Staat, Wirtschaft und Hochschulen – sie haben 2022 mit insgesamt 121,4 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreicht. Forschung und Innovationen sind Grundvoraussetzung für Wachstum und Wohlstand, dabei stehen wir als Forschungs- und Innovationsstandort im internationalen Wettbewerb. Deshalb dürfen wir mit unseren Anstrengungen für einen attraktiven Standort nicht nachlassen. Wir haben im Land exzellente Forschung und ein vielfältiges Wissenschaftssystem, aber noch immer wird dieses riesige Potenzial nicht voll genutzt.
Mit dem Wachstumschancengesetz haben wir als Bundesregierung noch größere Anreize geschaffen, zusätzlich in Forschung und Entwicklung zu investieren. Denn darin enthalten ist die massive Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung – ein echter Innovationsbooster. Das Wachstumschancengesetz enthält damit die größte Forschungsfördermaßnahme seit der Einführung der Forschungszulage. Fast eine Milliarde Euro wird pro Jahr zusätzlich bereitgestellt, um Forschung und Entwicklung in Unternehmen stärker zu fördern. Unternehmen wissen am besten, welche Technologien am geeignetsten sind, um Probleme zu lösen, und sie entscheiden bei der Forschungszulage selbst, woran sie forschen.
Was macht die Bundesregierung, um Investitionen in Innovation attraktiver zu machen?
Wir wollen noch mehr Anreize für Innovationen schaffen und die Rahmenbedingungen verbessern. Drei zentrale Vorhaben sind mir besonders wichtig. Erstens, um visionäre Forschungsideen in Deutschland zu identifizieren und weiterzuentwickeln, haben wir die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) gegründet. Mit dem SPRIND-Freiheitsgesetz haben wir sie von unnötigen bürokratischen Fesseln befreit und ihr neue Freiheiten gegeben. Zweitens, mit der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) werden wir Forschungsergebnisse schneller in die Anwendung und zu den Menschen bringen und Innovationspotenziale noch besser heben. Der DATI liegt dabei ein breites Innovationsverständnis zugrunde. Mit der Stärkung des Reallabore-Ansatzes wird die Bundesregierung neue Erprobungsräume für Innovationen und regulatorische Rahmenbedingungen schaffen. Wir befördern dadurch den direkten Austausch von Innovationsakteuren, tragen zu einer höheren Akzeptanz und Gebrauchstauglichkeit von Innovationen bei und beschleunigen den Ergebnistransfer.
Forschung und Entwicklung (FuE) sind Kernelemente der Innovation: Unternehmen werden durch die technische Neuerung von Produkten konkurrenzfähiger und erhöhen ihre Wachstumschancen. Zumeist sind FuE-Projekte aber sehr kostspielig. Die Projekte sind auf mehrere Jahre ausgelegt, binden oft zusätzliches Personal ein und bringen auch ein hohes Risiko mit sich. Wie können erfolgreiche Kooperationen und Wissenstransfer zwischen kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), Forschungsinstituten, Großunternehmen und Start-ups aussehen?
Die Leistungsfähigkeit unseres Innovationssystems beruht auf der Vielfalt kleiner und mittlerer Unternehmen. Deshalb halten wir auch an unserem ambitionierten Ziel fest, den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bis 2025 auf 3,5 Prozent steigern zu wollen. Im Rahmen von „KMU-innovativ“ stärken wir Innovationskraft auch durch Kooperationen mit Forschungseinrichtungen. Wichtig ist dabei, dass die Projekte von den Unternehmen koordiniert werden und sich an ihren Bedarfen orientieren.
Darüber hinaus ist eine strategische Vernetzung innovativer Unternehmen mit der Wissenschaft von zentraler Bedeutung. Im Rahmen unserer technologieoffenen Clusterförderung unterstützen wir regionale Innovationsökosysteme mit einer langfristigen Förderperspektive. Beispielsweise sehen wir im Rahmen unserer Zukunftscluster-Initiative, dass vertrauensvolle Partnerschaften gerade in aufstrebenden Technologiefeldern wie der Quantentechnologie wichtige Impulse für die Entwicklung neuer Produkte schaffen. Gleiches gilt für unsere Initiative Forschungscampus. Hier arbeiten Wissenschaft und Unternehmen unter einem Dach an einer gemeinsamen Forschungsagenda. Alle Partner profitieren von gemeinsam genutzter Infrastruktur. Risikoreiche Projekte werden so mit vereinten Kräften umgesetzt.
Neben technologischen Innovationen spielt auch die Förderung von unternehmerischem Denken und kreativen Lösungsansätzen eine wichtige Rolle. Wie kann das Gründungsklima in Deutschland insbesondere auch für Frauen und junge Gründerinnen erhöht werden? Welche Kompetenzen können Schüler*innen besser auf die Zukunft vorbereiten?
Der große Wandel unserer Zeit – ob Klimawandel, Energiewende oder Digitalisierung und KI – ist an Kompetenzen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) gebunden. Daher stärken wir die MINT-Bildung mit dem MINT-Aktionsplan 2.0. Er bündelt die MINT-Maßnahmen unseres Hauses entlang der gesamten Bildungskette unter einem Dach.
Um eine gerechte digitale Gesellschaft zu erreichen, müssen Frauen und Männer gleichberechtigt digitale und technologische Entwicklungen mitgestalten können. Davon sind wir aktuell weit entfernt. 2022 lag der Anteil von Frauen in MINT-Berufen bei niedrigen 16 Prozent, der Anteil der Start-up-Gründerinnen bei knapp 21 Prozent. Wo sehen Sie die Stellschrauben, um den Zugang von Frauen zur Gestaltung digitaler Technologien zu verbessern?
Geschlechtergerechtigkeit ist mir als Ministerin sehr wichtig, denn sie ist Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe – das gilt insbesondere auch für den zukunftsgestaltenden MINT-Bereich. Doch nach wie vor stellen wir fest: Es studieren deutlich weniger Frauen ein MINT-Fach als Männer – nur ein Drittel der MINT-Studierenden ist weiblich. Um dies zu ändern, sollten wir noch stärker den Beitrag der MINT-Fächer zur Lösung von Zukunftsfragen herausstellen. Denn mit MINT-Kompetenzen lässt sich die Welt zum Besseren verändern. Zugleich betten sich MINT-Kompetenzen in immer mehr Berufe ein. Beispielsweise ist soziales Unternehmertum oft techbasiert und nutzt Plattformen, Matching Tools oder automatisiertes Recycling, die auf Algorithmen basieren. Diesen gesellschaftlichen Anwendungsbereich gilt es viel stärker hervorzuheben, um Mädchen und Frauen zu begeistern.
Frau Bundesministerin, Sie sind in ganz Deutschland unterwegs, besuchen Forschungseinrichtungen und Unternehmen und sehen selbst, welche Innovationen in unserem Land geschaffen werden. Stimmt Sie das optimistisch? Was würden Sie sich für die Innovationslandschaft Deutschlands und insbesondere für mehr weibliche Beteiligung wünschen? Welche Rolle spielt für Sie dabei die grundsätzliche Wertschätzung von Unternehmertum in Deutschland?
Leider gründen im klassischen Start-up-Bereich Frauen noch weitaus weniger als Männer. Ihr Anteil an Gründungen liegt bei nur 21 Prozent! Die Ursachen sind vielseitig: Geschlechterstereotype spielen ebenso eine Rolle wie beispielsweise der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten. Für die Innovationen von morgen brauchen wir jedoch alle Talente in unserem Land. Deshalb müssen wir innovative Frauen und ihre Geschäftsmodelle noch viel stärker sichtbar machen. Hierbei hilft auch das Sozialunternehmertum, in dem mit einem Frauenanteil von über 50 Prozent viel mehr Gründerinnen zu finden sind – das stimmt mich optimistisch. Sinnhaftigkeit und der Wunsch nach gesellschaftlichem Impact sind Motivationsfaktoren, die Frauen zum Gründen bewegen. Mit unserer Strategie zur Förderung von sozialen Innovationen wollen wir deshalb auch mehr Bewusstsein schaffen für den Wert und die Innovationskraft von Social-Start-ups und gemeinwohlorientierten Unternehmen.
Lassen Sie uns über den Tellerrand schauen: Welchen Ansatz einer innovationspolitischen Maßnahme finden Sie aus einem anderen europäischen Land spannend?
Mit der Gründung der SPRIND ist Deutschland Vorreiter bei Sprunginnovationen in Europa. Wir beobachten gleichwohl mit großem Interesse innovationspolitische Maßnahmen bei unseren europäischen Nachbarn. Dazu gehört zurzeit unter anderem die britische Advanced Research and Invention Agency. Sie wurde im Januar 2023 für zunächst zehn Jahre nach dem Vorbild der US-amerikanischen Agentur Defense Advanced Research Projects Agency gegründet und soll wissenschaftliche und technologische Durchbrüche ermöglichen. Interessant sind auch die Agenturen Vinnova in Schweden und Innovation Norway in Norwegen. Sie setzen eine missionsorientierte Innovationspolitik um und denken dabei Forschung, Entwicklung und Innovation mit gesellschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen zusammen. Hervorheben möchte ich auch die Partnerschaften zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und privaten Unternehmen in den europäischen Forschungsrahmenprogrammen. Europäische Kommission, europäische Mitgliedstaaten und Industrie entwickeln hierbei gemeinsam wirkmächtige Ökosysteme für künftige Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung in Europa und somit Wohlstand für alle. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist der EU Chips Act mit dem Ziel, im Jahr 2030 nicht weniger als 20 Prozent des Weltmarktes der Chipproduktion in Europa zu erreichen. Wir brauchen solche gemeinsamen ambitionierten Ziele in herausfordernden Zeiten, denn nationale Alleingänge bringen uns nicht weiter. Wenn wir in Deutschland langfristig international wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir uns auf unsere Stärken besinnen und gleichzeitig europäisch denken.
ZUR PERSON
BETTINA STARK-WATZINGER ist Bundesministerin für Bildung und Forschung. Sie ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags. Von 2018 bis 2020 war sie Vorsitzende des Finanzausschusses, von 2020 bis 2021 Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag. Stark-Watzinger studierte Volkswirtschaftslehre in Mainz und in Frankfurt am Main. Nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt im Vereinigten Königreich war sie als Academic Manager für die European Business School in Oestrich-Winkel tätig. Von 2008 bis 2013 arbeitete sie als Geschäftsführerin des House of Finance an der Goethe-Universität und anschließend bis 2017 als Geschäftsführerin des Forschungszentrums SAFE – Sustainable Architecture for Finance in Europe.
Interview INKEN PATERMANN
© BMBF / Hans-Joachim Rickel
Dieser Beitrag wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN 01/24 veröffentlicht.