Die Sprache der Emotionen
Ein Novembertag in Mannheim. Zwischen all den zweckmäßigen Gebäuden, die rechts und links der belebten Straßen im Industriehafen stehen, wirken die Backsteingebäude der ehemaligen Papierfabrik fast exotisch. Dorothee Schumacher ließ den Industriebau 1998 zum zweistöckigen Loft umbauen. Sehr clean, sehr ästhetisch – und einladend offen, wie es der Einstellung der Unternehmerin selbst entspricht. Im Juli erst hat sie hier ein Festival veranstaltet, mit mehr als 1000 Gästen. „Friends of Dorothee“ sei eine Hommage an 35 Jahre Dorothee Schumacher gewesen, ein Danke an alle Wegbegleiter*innen ihres Erfolgs, erzählt die Designerin. „Es war meine Vision, all diese besonderen Menschen zusammenzubringen und den Moment zu genießen“, sagt Dorothee Schumacher. „Jede*r war ein Teil eines großen Ganzen. Das war einfach magisch.“ Sie strahlt. „Als ich mit meinem Label angefangen habe, geschah das aus Freude, Lust und Überzeugung. Ich wollte Frauen in ihre weibliche Power bringen. Und dass ich erreicht habe, dass aus einem zarten Gedanken eine echte Community wurde, – Friends of Dorothee – das ist wirklich wow.“ Ihre Augen blitzen vor Vergnügen.
Wer sich mit Dorothee Schumacher unterhält, erlebt eine sehr gefühlsstarke Frau, die die Kraft ihrer Emotionen bewusst während des kreativen Prozesses einsetzt. „Ich stelle mir zum Beispiel vor, wie eine Frau auf die Bühne geht. Vielleicht wird sie einen Talk moderieren. Ich fühle mich in sie hinein. Ich verstehe, was sie in diesem Moment braucht, wie ihr Outfit sie unterstreicht und worin sie sich wohlfühlt. Wenn du auf der Bühne stehst, ist es nämlich zu spät, dir über dein Outfit Gedanken zu machen.“ Ihre Aufgabe als Designerin sehe sie darin, der Stärke dieser Frau eine äußere Form zu geben: „Beim letzten Blick in den Spiegel soll sie sich unglaublich stark und wohlfühlen. Und zu sich sagen: Ich gehe da jetzt raus und begeistere mein Publikum.“
Als Dorothee Schumacher erstmals ihre eigenen Kundinnen begeistert, ist sie 23 Jahre alt. Die gebürtige Düsseldorferin macht ihre ersten beruflichen Erfahrungen in einer italienischen Strickmanufaktur. Es folgen mehrere Aufenthalte in Frankreich, dann gründet sie 1989 ihr Label „Schumacher“ mit einer T-Shirt-Kollektion. „Ich hatte ein Gefühl, eine Vorstellung davon, wie sich selbst bewusste Frauen aussehen könnten“, sagt die Unternehmerin. Der Look vieler Frauen Ende der Achtzigerjahre habe sie ein wenig irritiert: „Da waren diese super Powerfrauen und hatten ihren Dresscode den männlichen Vorbildern angepasst und damit ihrer weiblichen Stärke keinen Raum gegeben. Heute sind Authentizität und weibliches Charisma essenziell. So können wir unseren Weg gehen, Schritt für Schritt, bis in die Führungsebene.“
Auch bei Dorothee Schumacher geht es schrittweise zum Erfolg. 1991 erweitert sie ihr Sortiment um Knitwear, 1994 eröffnet ihr erster Showroom in Düsseldorf, und 2011 wird der erste Onlineshop gelauncht. Es folgen Fashionshows, eigene Stores, die Expansion ins Ausland. 2014 rebrandet die Unternehmerin ihr Label zu „Dorothee Schumacher“, seit 2017 ist ihr ältester Sohn Maximilian Singhoff neben ihr der zweite CEO am Stammsitz in Mannheim. Die USA entwickeln sich Anfang der 2020er-Jahre zum zweitwichtigsten Markt für das Modeunternehmen, das aktuell in 46 Ländern aktiv ist und 2023/24 einen Umsatz von 58 Millionen Euro erwirtschaftete – ein Viertel davon im D2C-Bereich. Dorothee Schumacher beschäftigt mehr als 180 Mitarbeiter*innen und entwirft mit ihrem Team vier Ready-to-wear-Kollektionen pro Jahr. Diese werden ergänzt durch eine Accessoire-Linie sowie die Kollaboration DS X Tucurinca mit einer kolumbianischen Möbelmarke. Im April 2024 lanciert sie erstmals eine Handtaschen-Kollektion.
Was sich in all den Jahren nicht geändert hat: das Hineinhorchen und Verstehen wollen, die Imaginationskraft und der Wille, Frauen in ihre eigene Stärke zu bringen. „Worauf ich wirklich stolz bin“, sagt Dorothee Schumacher, „ist die Tatsache, dass wir eine Marke mit generationsübergreifender Relevanz geschaffen haben. Das wird zum Beispiel in Gesprächen mit Kundinnen deutlich, die unsere Kleidungsstücke sammeln oder begeistert erzählen, dass ein Lieblingsstück aus einer vorherigen Kollektion zum Vintage-It-Piece im Kleiderschrank der Tochter geworden ist. Das spricht nicht nur für den Stil unserer Marke, sondern ist ganz nebenbei auch ein Ausdruck von Nachhaltigkeit. Denn welche Mode kann nachhaltiger sein als eine, die über Jahrzehnte getragen wird?“
Damit immer wieder neue Lieblingsstücke entstehen, tauscht sich Dorothee Schumacher intensiv mit ihren Mitarbeiter*innen aus. „Ich habe neulich eine junge Design-Assistentin gefragt: Wo findest du deine Kreativität? Und sie hat geantwortet: Ich finde sie hier, denn hier bin ich umgeben von Menschen, die intrinsisch motiviert sind. Da will ich mitmachen, mein Bestes geben.“ Für ihre Mitarbeiterin sei der Zugang zu Kreativität offensichtlich, sagt die Unternehmerin, bei ihr sei es anders: „Für mich fängt Kreativität mit einem Gefühl an.
Diese Sprache der Emotionen teile ich mit meinem Team. Zwischendurch frage ich immer: Versteht ihr mich noch? Wenn ich das Funkeln in ihren Augen sehe, weiß ich, dass wir die gleiche Vision teilen. Der Entstehungsprozess einer Kollektion geht über vier Monate, und es ist unglaublich schön, wie wir alle wieder auf dieses Anfangsgefühl zurückgreifen können. Wenn mein Team mich versteht, mich fühlt, dann ergeben sich Antworten. Und so entstehen Lieblingsstücke.“ Inspirieren lässt sich die Modedesignerin von Gesprächen, Filmen, Reisen, Zeitgeschichte.
Ob ein Entwurf es in die Kollektion schafft, entscheidet sich in dem Moment, wenn die Unternehmerin das Kleidungsstück anprobiert. „Ich kann ein Kleidungsstück nur beurteilen, wenn ich es selbst anziehe und fühle. Nur so kann ich beurteilen, ob das Kleid die Großzügigkeit und Strahlkraft besitzt und wie es sich letztendlich im Look integriert. Fühlt es sich nicht richtig an, hat das Kleid keine Chance, einen Platz in der Kollektion zu finden.“ Sie beanspruchte nicht für sich, ausschließlich Lieblingsstücke zu designen. Wohl aber, ihre Kundinnen auf dieser Reise des Empowerments mitzunehmen. Das gelinge ihr und ihrem Team mit den meisten Entwürfen, schließlich sei Mode eine Sprache. „Wenn Mode deine Sprache ist, kannst du einen Raum betreten und wirst verstanden, noch bevor du das erste Wort gesagt hast. Dieses Verstanden werden lässt dich aufblühen, freier und glücklicher sein.“
Für die Zukunft sieht sich Dorothee Schumacher gut aufgestellt. Die Schauspielgröße Anne Hathaway trug ihre Kleider im Kultfilm „Der Teufel trägt Prada“, genau wie eine Ikone der jungen Generation heute: Taylor Swift transportiert den Markenkern des Female Empowerments in der Gen Z. „Auch wenn wir weiterwachsen, internationalisieren, digitalisieren und in unserem Unternehmen innovative Technologien wie AI einsetzen, ist es meine Herzensangelegenheit, im Kern so zu bleiben, wie wir sind – emotional, großzügig, lebensfroh und neugierig auf die Welt. Natürlich wird es Veränderung geben. Veränderung hat uns in den letzten 35 Jahren zu dem gemacht, was wir sind. Wenn wir uns selbst mitnehmen, uns treu bleiben, wenn meine Community und der Spirit des Teams mich weiter begleiten, kann ich nur sagen – the future is bright.“
ZUR PERSON
Dorothee Schumacher ist eine deutsche Modeschöpferin und CEO des nach ihr benannten Modelabels. Ihre Kreationen sind seit Anbeginn von der Idee bestimmt, die Stärke von (Business-)Frauen durch Kleidung sichtbar zu machen und ihre Weiblichkeit zu betonen, statt sie zu verstecken. Die gebürtige Düsseldorferin gründete 1989 mit 23 Jahren ihr Label „Schumacher“, das sie viele Jahre gemeinsam mit ihrem heutigen Exmann Jörg Singhoff führte. 2014 rebrandete sie die Marke in „Dorothee Schumacher“. 2017 trat ihr ältester Sohn Maximilian Singhoff als zweiter CEO neben seiner Mutter in die Firma ein. Das Modelabel positioniert sich im Luxussegment und wird in eigenen Stores, über einen Onlineshop sowie durch ausgesuchte Partner vertrieben. Der wichtigste Auslandsmarkt sind die USA. Der Unternehmenssitz ist Mannheim.
Text: Christian Bracht; Fotos: Anna Ziegler © Hair & Make Up Lena Gehrig / Fame Agency
Dieser Artikel wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN 02/24 veröffentlicht.